Kritik am Vorlagebeschluss des OVG Berlin-Brandenburg für das BVerfG zu zwei Klagen Besoldungsgruppe A 7 und A 8 am 11.10.2017
In aller Deutlichkeit möchte ich meinen Unmut über die Art und Weise der Berechnung des OVG Berlin-Brandenburg zum Ausdruck bringen. Von einem unabhängigen Gericht hätte ich weitaus mehr Bestreben auf eine sachgerechte und gewissenhafte Heranziehung von Quellen und Daten im Sinne einer ordnungsgemäßen Rechtsprechung erwartet. Um dem BVerfG aufzuzeigen, das die vom OVG vorgenommene Berechnung absolut ungeeignet ist, den tatsächlichen Umfang der Verfassungswidrigkeit darzustellen, werden hier folgende Kritikpunkte vorgetragen:
1. Belastbare Daten einer Krankenversicherung
Dem OVG sollte mittlerweile bekannt sein, dass die Daten der PKV (Verband der privaten Krankenversicherung) NICHT für einen sachgerechten Vergleich dienlich sind (vorgetragen vom RA Hardtmann in einer der verhandelten Klagen – und hier noch einmal ausgeführt).
Beigefügt (Anlage 1) wird durch den Unterzeichnenden der Mailverkehr mit der PKV, in der der Pressesprecher der PKV bestätigt, dass die dem OVG übersandten Daten KEINE Durchschnittswerte, sondern lediglich Beispielberechnungen darstellen (ganz offensichtlich jedoch ohne Realitätsbezug und ohne jegliche Darstellung des Leistungsspektrums).
Selbst eine Internetrecherche (Anlage 2) nach dem billigsten privaten Krankenversicherer (Basistarif) erbrachte einen wesentlich höheren monatlichen Krankenversicherungsbeitrag für eine vierköpfige Beamtenfamilie, als vom OVG bei den Berechnungen berücksichtigt wurde.
Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung zur Beamtenbesoldung im Jahr 2015 u.a. auf die Berechnungen des Richters Stuttmann als Vergleichsgrundlage hingewiesen. Richter Stuttmann recherchierte für sein Bundesland nach belastbaren Krankenversicherungsbeiträgen und ermittelte einen Durchschnittswert, der absolut vergleichbar ist mit den von uns Klägern vorgelegten Beiträgen für eine Krankenversicherung einer vierköpfigen Familie in unseren Klagebegründungen. Diese von uns Klägern in unseren Verfahren vorgelegten Daten basieren auf einer Recherche einer der größten Krankenkassen Berlins, der DKV. Die Krankenkassenbeiträge wurden für die einzelnen Jahre ermittelt und stellen eine realistische Basis für eine Berechnung dar, da es sich um Daten handelt, die jederzeit von jedermann überprüft werden können und zudem das Leistungsspektrum aufzeigen, die mit der Höhe der Zahlungen einhergehen. Es existieren derzeit KEINE anderen für eine verlässliche Berechnung heranzuziehenden Daten einer Krankenversicherung, als die der DKV. So sind demzufolge die Berechnungen des OVG, die auf Basis der nicht weiter überprüfbaren Zahlen der PKV gründen, als fehlerhaft und realitätsfern zu bezeichnen und zu korrigieren.
Alleine durch diese alternativlose Korrektur ergeben sich bereits vollkommen andere Abstandswerte zwischen A 4 und Hartz IV, als es das OVG bislang eingeräumt hat.
2. Berechnung der Jahresbesoldung
Die nachfolgende Behauptung des OVG zur Berechnung der Jahresnettobesoldung der Beamten ist – meines Erachtens – zielgerichtet darauf ausgelegt, einen möglichst geringen Abstandswert der Besoldung zum Hartz-IV-Empfänger darzustellen: Zitat des OVG: „Der Senat hat sich ausgehend von dieser Betrachtungsweise dafür entschieden, zur Vereinfachung für jedes Kalenderjahr den Monat Dezember als Referenzmonat auszuwählen und bei seinen Berechnungen auf die in diesen Monat geltenden bzw. ermittelten Werte bzw. Beträge abzustellen.“ Dem OVG ist wohl bekannt, dass das Land Berlin seinen Beamten seit dem Jahr 2010 immer erst zum August eine Besoldungserhöhung genehmigt (vorher fünf Jahre Nullrunden). Das bedeutet, dass die Beamten den größten Teil des Jahres mit der Besoldung des Vorjahres leben müssen, obwohl bereits die Tarifbeschäftigten (und überdies auch die Berliner Abgeordneten) eine beschlossene Erhöhung bereits ab Januar eines Jahres erhalten. Alleine durch diese Maßnahme sind die Beamten sowohl zeitlich, als auch in der Höhe von der wirtschaftlichen Entwicklung im Land abgekoppelt und finanziell benachteiligt.
Trotz Kenntnis dieses Umstandes entscheidet sich das OVG die (höhere) Besoldung aus dem Monat Dezember angeblich „zur Vereinfachung der Berechnungen“ heranzuziehen und dann daraus den Jahressold zu errechnen. Das ist falsch und manipulativ.
Entweder man berechnet die real gewährte Besoldung im Kalenderjahr (7 x Besoldung des Vorjahres (Januar bis Juli) zuzüglich 5 x Besoldung nach Erhöhung (August bis Dezember)) oder man akzeptiert den Umstand, dass auch die Hartz-IV-Empfänger jeweils zum Januar eine Erhöhung erhalten und muss dann auch die Besoldungshöhe des Januars als Grundlage der Berechnungen für das Kalenderjahr heranziehen (wäre übrigens nicht schwieriger, als die Besoldung aus dem Dezember zu errechnen!!!).
Dadurch wird deutlich, dass das OVG auch hier „falsche“ Zahlen als Grundlage für die Abstandsberechnungen herangezogen hat. Eine Korrektur in diesen Berechnungen ergibt noch einmal einen größeren Abstand zwischen der Hartz-IV- und der Beamtenmusterfamilie.
3. Lohnsteuer
Der vom OVG verwendete Lohnsteuerrechner des Bundesministeriums der Finanzen ist für eine Detailrechnung nur bedingt geeignet. In von uns Klägern durchgeführten Beispielberechnungen wurde eine für die Beamten zu geringe Lohnsteuer berechnet, sofern dieser Rechner zum Einsatz kam. Auch andere im Internet zur Verfügung gestellte Lohnsteuerrechner ergeben zum Teil sehr unterschiedliche Ergebnisse bei Verwendung identischer Eingabedaten. Unterschiedsbeträge von bis zu 200,00 € monatlich mussten festgestellt werden. Eine konkrete Berechnung kann zum Beispiel bei einem Finanzamt in Auftrag gegeben werden, wobei zu beachten ist, dass die „besonderen Steuertabellen für Beamte“ heranzuziehen sind!
4. Monatliche und jährliche Unterkunftskosten
Auch in diesem Bereich berechnet das OVG Berlin-Brandenburg niedrigere Kosten als wir Kläger (bis zu 30 € monatlich). Unsere Werte stellen das in Berlin amtlich – nach dem Maßstab des SGB II (Hartz-IV-Gesetz) – Angemessene dar (Anlage 3). Hier wird aber erst eine Entscheidung des BVerfG aufzeigen, welche Quelle als Berechnungsgrundlage heranzuziehen ist (u.a. auch, ob die von uns anteilig berechneten Renovierungskosten einzuschließen sind).
5. Weitere finanzielle Benachteiligungen für Beamte
Im Urteil des BVerfG vom 17.11.2015 sind noch verschiedene Aspekte einer Benachteiligung von Beamten im Verhältnis zu Sozialhilfeempfängern angesprochen worden, die aber im Detail nicht ausformuliert wurden, da es damals keine Relevanz hatte.
Aus Sicht des Unterzeichnenden spielen Kosten für die Beförderung zur Schule und zur Arbeitsstelle / Dienststelle eine erhebliche Rolle, die im Vergleich ebenfalls noch berücksichtigt werden müssen. Schule und Hort befinden sich schon seit einiger Zeit in Berlin nicht mehr zwangsläufig in direkter Wohnortnähe. Darüber hinaus ist zu beachten, dass ein Beamter flexibel im Land Berlin eingesetzt werden darf und daher auch weite Anfahrten zu tolerieren hat. Da die Vergünstigungen bei den Hartz-IV-Empfängern im Bereich des Erwerbs von BVG/VBB (also öffentlichen Verkehrsmitteln) – Tickets erheblich sind, sollten diese Kosten auf jeden Fall in einen Vergleich des Jahresnetto mit einbezogen werden (Beispiel: BVG-Ticket-Kosten zwei Erwachsene ohne Vergünstigung im Jahr 2016: 1.522,00 €, mit Vergünstigung: 864,00 € für zwei Kinder im Jahr 2016 ohne Vergünstigung: 445,00 €, mit Vergünstigung: 290,00 € – Mehraufwand der Beamtenfamilie zur Hartz-IV-Familie im Jahr 2016: 813,00 €!).
Gleiches gilt auch für die Pflichtabgabe der GEZ-Gebühren (210,00 € im Jahr 2016) bei Beamten, wovon sich Hartz-IV-Empfänger befreien lassen können.
Unberücksichtigt bleiben bei einem durchzuführenden Vergleich zwischen einer Beamten- zur Hartz-IV-Familie schon folgende Positionen zugunsten einer Familie mit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, da sich diese nicht generalisieren lassen: Vergünstigungen bei Eintrittsgeldern für Schwimmbäder, Konzerte, Theater, Freizeiteinrichtungen oder weitere Zuschüsse, die nicht regelmäßig gewährt werden wie Umzugszuschüsse, Vergünstigungen bei der Gewährung der Erstausstattungspauschale und vor allen Dingen zusätzliche monatliche Freibeträge von bis zu 310,00 €/Monat.
Auch für diesen fünften Kritikpunkt wird erst die Zukunft zeigen, ob das BVerfG unserer Auffassung folgt und eine klare Richtlinie vorgibt, dass auch DIESE Kosten bei einem Ver-gleich zu berücksichtigen sind.
6. Sonstiges
Nur am Rande möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass in den Vorlagebeschlüssen des OVG u.a. das Thema der unterschiedlichen Besoldung Bund-Länder ausgelassen wurde. In den von uns Klägern erstellten Tabellen (u.a. Anlage 4) ist sehr deutlich zu erkennen, dass durchgängig seit etwa 2009 die Abstände der Berliner Besoldung zur Bundesbesoldung bis zu knapp 14 % betragen (Stichwort: Bundestreue). Überdies sollte die wirtschaftliche Entwicklung vergleichbarer Branchen zur Besoldungsentwicklung nicht unbeachtet bleiben (Anlage 5).
Abschließend verweise ich auf unsere neue Homepage, auf der umfangreiche Informationen zum Thema Besoldung in Berlin gesammelt wurden, wie auch ein link zur Unterstützung unseres weiteren Kampfes für eine amtsangemessene und verfassungsgemäße Besoldung enthalten ist:
https://www.berliner-besoldung.de/
André Grashof – Berlin, den 05.11.2017
Sehr schöne Zusammenfassung und zudem noch gut geschrieben.