Am 10.01. ist im Rahmen der konkreten Normenkontrollverfahren 2 BvL 5/18 bis 2 BvL 9/18 über die Berliner Beamtenalimentation der Jahre 2008 bis 2015 eine gemeinsam verfasste umfangreiche Stellungnahme von der Kanzlei Merkle & Rühmkorf PartG mbB an das Bundesverfassungsgericht gesandt worden, in der nicht zuletzt die vom Senat und vom Abgeordnetenhaus von Berlin vollzogenen Maßnahmen und Entscheidungen des letzten Jahres in ihrem vielfältig und vielfach problematischen Gehalt betrachtet und erörtert werden. Darüber hinaus wird Anfang März in Heft 5 von „Die Öffentliche Verwaltung“ ein Beitrag erscheinen, der auf umfassender Datenbasis den Nachweis führt, dass zwischen 2008 und 2020 kein Besoldungsgesetzgeber der Länder seinen Beamten eine amtsangemessene Alimentation gewährt hat – tatsächlich verbleibt die Beamtenalimentation in allen Jahren in den unteren Besoldungsgruppen weit überwiegend noch unterhalb des Grundsicherungsniveaus („Das Alimentationsniveau der Besoldungsordnung A 2008 bis 2020 – eine ‚teilweise drastische Abkopplung der Besoldung‘ als dauerhafte Wirklichkeit?“, Heft 5/2022 DÖV, https://www.doev.de/vorschau-auf-die-nachste-ausgabe/, vgl. dort die Tabelle 7).
So gewährten im letzten von der Untersuchung erörterten Jahr, 2020, nur drei Bundesländer den genannten Beamten eine Alimentation oberhalb der Grundsicherung. In den 13 anderen Ländern wurde den betroffenen Beamten und ihren Familien ebenfalls nicht nur eine amtsangemessene Alimentation vorenthalten – die dem absoluten Alimentationsschutz unterworfene Mindestalimentation wurde unterschritten –, sondern es wurde ihnen nicht einmal das belassen, was unsere rechts- und sozialstaatliche Ordnung dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt. Wenn das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Fiskalpolitik unmissverständlich klargestellt hat, „daß ein Steuergesetz keine ‚erdrosselnde Wirkung‘ haben“ darf (BVerfGE 87, 153 [169]), scheint das für Besoldungsgesetze als dauerhafte Wirklichkeit, also seit spätestens 2008, nicht mehr zu gelten. Denn auch 2008 hatten nur drei der 16 Bundesländer den betroffenen Beamten eine Alimentation oberhalb des Grundsicherungsniveaus gewährt, hier war die gewährte Nettoalimentation „nur“ um 10,0 %, 12,8 % und 13,0 % unterhalb der Mindestalimentation verblieben, wobei insgesamt zu beachten bleibt, dass bislang die Kosten für die Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie für die Sozialtarife von den Besoldungsgesetzgebern weit überwiegend nicht realitätsgerecht ermittelt worden sind. Deren realitätsgerechte Bemessung dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Ergebnis führen, dass seit spätestens 2015 mindestens die Alimentation aller entsprechend in der jeweils untersten Besoldungsgruppe besoldeten Landesbeamten nicht einmal das Grundsicherungsniveau erreicht (vgl. im gerade genannten Beitrag die Tabelle 8).
Der DÖV-Beitrag führt damit den im Mai 2021 am selben Ort erschienenen Beitrag fort („Neue bundesverfassungsgerichtlichen Direktiven für die Besoldungsdogmatik und ihre Folgen für das künftige Alimentationsniveau“, Heft 9/2021 DÖV, https://www.doev.de/ausgaben/9-2021/). Zugleich werden nun jene beiden genannten Beiträge durch die im Anhang verlinkte Betrachtung aktualisiert und über das Jahr 2020 hinaus bis heute verlängert. Denn die im Anhang beigefügte Betrachtung erörtert sämtliche im Zeitraum von 2020 bis Anfang Februar 2022 vollzogene oder sich in Planung befindende relevante Besoldungsgesetzgebungsverfahren in Bund und Ländern und zeigt, dass nach der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung vom 04. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 – die Praxis dauerhafter Unteralimentation von keinem Besoldungsgesetzgeber beendet worden wäre.
Stattdessen wird die mittlerweile mindestens fünfzehnjährige verfassungswidrige Alimentationspraxis – getragen von einem offensichtlich quer durch die Parteien gehenden Konsens und fast ausschließlich fiskalpolitisch motiviert – nach wie vor ungebrochen fortgesetzt. Nach der gerade genannten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung dürfte es den politisch Verantwortlichen dabei spätestens heute schwerfallen, einen eventuellen Vorwurf des vorsätzlichen Verfassungsbruches zu entkräften. Auch werden die aus alledem resultierenden Folgen für das Gemeinwesen, die Rechtsordnung, den Zustand des öffentlichen Diensts und nicht zuletzt auch für die einzelne Beamtin und den einzelnen Beamten sowie gegebenenfalls ihre Familien bislang weiterhin nicht hinlänglich beachtet. Die schon fast gewohnheitsmäßig vollzogene Verletzung der Verfassung wird entsprechend als notwendig dargestellt oder negiert.
Wer sich also für das einzelne Gesetzgebungsverfahren, die Entwicklung im Bund, in einem Bundesland oder darüber hinaus für die Thematik als solche interessiert, der sollte in der Betrachtung fündig werden. Um den Überblick zu erleichtern, steckt zunächst ein Inhaltsverzeichnis den Rahmen der Betrachtung ab und wird auf den Seiten 3 f. der Gang der Arbeit präsentiert. Daraufhin erfolgt ein Abriss von den sich dem Besoldungsgesetzgeber stellenden prozeduralen Anforderungen, die also als „zweite Säule“ des Alimentationsprinzips neben die auf eine Evidenzkontrolle beschränkte materielle Dimension treten und seiner Flankierung, Absicherung und Verstärkung dienen (S. 4 f.). Der Abriss mündet in den zentralen Bedingungen jeder Besoldungsgesetzgebung, nämlich dass neben der hinreichend zu erfüllenden materiellen Dimension nicht eine „bloße Begründbarkeit“, sondern eine sachgemäße „Begründetheit“ jeweils für sich genommen die Voraussetzung sind für eine mit der Verfassung im Einklang stehende Besoldungsgesetzgebung. Hierauf wird im Verlauf der Betrachtung wiederkehrend zurückzukommen sein.
Neben der 2021 im Bund erfolgten Besoldungsgesetzgebung und der aktuell in allen Ländern bereits vollzogenen oder sich im Vollzug befindenden Gesetzgebung zur „Corona-Sonderprämie 2022“ werden die seit 2012 sich im Fluss befindende Ausformung der neuen bundesverfassungsgerichtlichen Besoldungsdogmatik und die 2020 und 2021 von der Verwaltungsgerichtsbarkeit gefällten Entscheidungen sowie die beiden letztjährigen Berliner Gesetzgebungsverfahren im Kontext der genannten konkreten Normenkontrollverfahren betrachtet, um im Weiteren die Entwicklungen in Thüringen, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein in den Blick zu nehmen. Keines der seit 2020 vollzogenen oder sich derzeit im Fluss befindenden Gesetzgebungsverfahren beachtete hinlänglich die materielle oder prozedurale Dimension des Alimentationsprinzips. Die Besoldung auf bzw. unterhalb des Sozialhilfeniveaus bleibt bis heute ausnahmslos fortgeführt.
Als Fazit der Betrachtung kann festgehalten werden, was unlängst die Präsidentin des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts hervorgehoben hat und worauf im Verlauf der Betrachtung zurückzukommen ist: „Dass in der Vergangenheit verwaltungsgerichtliche Entscheidungen durch die Exekutive nicht umgesetzt wurden, macht mich nachdenklich. Dies berührt die Grundfesten unseres Rechtsstaates. Es ist wichtig für uns alle, für unser gesellschaftliches Zusammenleben, dass die Regeln des Rechtsstaates von allen Beteiligten befolgt werden.“
Anhang:
Besoldungsrechtliche Entwicklungen in Bund und Ländern Februar 2022
Stimmt. UNFASSBAR wie sich die Berliner Abgeordneten eine Diätenerhöhung 2022 genehmigen. Finanziert vmtl. aus der Nullrunde 2022 der Pensionäre. Nochmals Danke an die Gewerkschaften für ihr VERSAGEN !!
Alles wird teurer, nur nicht für die Ruhenständler. Was für ein Hohn.
Zitat : „Was kann schöner sein auf Erden, als Politiker zu werden. Vom Überfluss der Diäten, platzen dir die Taschen aus den Nähten. Du kannst dir auf leisen Sohlen, dein Schäfchen in`s trockene holen. Prost, es lebe die Partei. Frisch und fromm und steuerfrei“ von Reinhard Mey
Ps. Die Brandenburger Abgeordneten haben einem Verzicht auf die Diätenerhöhung 2022 abgestimmt.
Es ist unfassbar, wie die „gewählten“ Volksvertreter mit den Bürgern umgehen und sich selbst nicht an Recht und Gesetz, respektive höchstrichterliche Entscheidungen halten. Immer nach dem Motto: „Wasser predigen und Wein saufen“, was auch wieder besonders in der Tatsache deutlich wird, dass sie sich selbst Anfang diesen Jahres wieder eine Gehaltserhöhung gegönnt haben. Die Gewaltenteilung und der Rechtsstaat gehen in diesem Land bankrott.
Sehr starke Zusammenfassung im Anhang, die nochmal den absoluten Holzweg deutlich macht, auf dem die Gesetzgeber erschreckenderweise BEWUSST wandeln.
Vervollständigt werden müssten noch Aspekte der Versorgungsempfänger. So werden z.B. die untersten Besoldungsklassen gestrichen, dafür sinkt in vielen Bundesländern aber die gleichzeitig Quote, mit der die Mindestversorgung berechnet wird, so dass sogar Versorgungsempfänger in der Mindestversorgung weitgehend von Verbesserungen ausgeschlossen werden. Dass sie zudem 2021/22 eine lange Nullrunde trotz hoher Inflation hinnehmen müssen und auch von Familienzuschlägen i.d.R. kaum profitieren, ist das Problem hier noch ernster als bei den aktiven Beamten. Während sich die Gerichte mit aktiven Beamten zumindest deutlich beschäftigen (wenn auf langsam und gegen sehr spitzfindige Bundesländer), geht es für versorgungsempfänger immer weiter bergab, ohne dass das groß thematisiert wird. Es ist heute schon absehbar, dass eine gerichtliche Durchsetzung höherer Besoldungen von den Gesetzgebern mit einer weiteren Reduktion des Ruhegehaltsatzes beantwortet wrden wird. Umso wichtiger ist es, hier parallel juristisch aktiv zu sein.