Richterbesoldung im Land Berlin in den Jahren 2009 bis 2015 in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen
Pressemitteilung Nr. 63/2020 vom 28. Juli 2020
Den Beschluss finden Sie hier.
Die Besoldungsvorschriften des Landes Berlin sind mit dem von Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten Alimentationsprinzip unvereinbar, soweit sie die Besoldung der Richter und Staatsanwälte der Besoldungsgruppen R 1 und R 2 in den Jahren 2009 bis 2015 sowie der Besoldungsgruppe R 3 im Jahr 2015 betreffen. Dies hat der Zweite Senat mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden. Eine Gesamtschau der für die Bestimmung der Besoldungshöhe maßgeblichen Parameter ergibt, dass die gewährte Besoldung evident unzureichend war. Sie genügte nicht, um Richtern und Staatsanwälten einen nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung angemessenen Lebensunterhalt zu ermöglichen. Der Gesetzgeber des Landes Berlin hat verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 1. Juli 2021 an zu treffen. Eine rückwirkende Behebung ist hinsichtlich derjenigen Richter und Staatsanwälte erforderlich, sie sich gegen die Höhe ihrer Besoldung zeitnah mit den statthaften Rechtsbehelfen gewehrt haben. Dabei ist es unerheblich, ob insoweit ein Widerspruchs- oder ein Klageverfahren schwebt.
Sachverhalt:
Die Kläger der Ausgangsverfahren sind ein Vorsitzender Richter am Landgericht (Besoldungsgruppe R 2), ein Richter am Landgericht (Besoldungsgruppe R 1) und die Witwe eines Vorsitzenden Richters am Kammergericht (Besoldungsgruppe R 3), der im Jahr 2015 in dieses Amt befördert worden war und wenig später verstarb. Die erstmals im Jahr 2009 gegen die Besoldungshöhe erhobenen Widersprüche der Kläger blieben ebenso wie ihre nachfolgenden Klagen vor dem Verwaltungsgericht bis in die Berufungsinstanz erfolglos. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Revisionsverfahren ausgesetzt, um dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die Besoldung in den genannten Besoldungsgruppen mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar sei.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
I. Das zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählende Alimentationsprinzip verpflichtet den Dienstherrn, Richtern und Beamten sowie ihren Familien lebenslang einen Lebensunterhalt zu gewähren, der ihrem Dienstrang und der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung angemessen ist und der Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards entspricht. Damit wird der Bezug der Besoldung sowohl zu der Einkommens- und Ausgabensituation der Gesamtbevölkerung als auch zur Lage der Staatsfinanzen hergestellt. Diese Gewährleistung einer rechtlich und wirtschaftlich gesicherten Position bildet die Voraussetzung und innere Rechtfertigung für die lebenslange Treuepflicht sowie das Streikverbot. Der Besoldungsgesetzgeber verfügt über einen weiten Entscheidungsspielraum. Dem entspricht eine zurückhaltende verfassungsgerichtliche Kontrolle. Ob die Bezüge evident unzureichend sind, muss anhand einer Gesamtschau verschiedener Kriterien geprüft werden. Dies erfolgt in mehreren Schritten:
Auf der ersten Prüfungsstufe wird mit Hilfe von fünf Parametern ein Orientierungsrahmen für eine grundsätzlich verfassungsgemäße Ausgestaltung der Alimentationsstruktur und des Alimentationsniveaus ermittelt (Vergleich der Besoldungsentwicklung mit der Entwicklung der Tarifentlohnung im öffentlichen Dienst, des Nominallohnindex sowie des Verbraucherpreisindex, systeminterner Besoldungsvergleich und Quervergleich mit der Besoldung des Bundes und anderer Länder). Beim systeminternen Besoldungsvergleich ist neben der Veränderung der Abstände zu anderen Besoldungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist. Ein Verstoß hiergegen betrifft insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist.
Auf der zweiten Prüfungsstufe sind die Ergebnisse der ersten Stufe mit den weiteren alimentations-relevanten Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung zusammenzuführen. Werden mindestens drei Parameter der ersten Prüfungsstufe erfüllt, besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation. Werden umgekehrt bei allen Parametern die Schwellenwerte unterschritten, wird eine angemessene Alimentation vermutet. Sind ein oder zwei Parameter erfüllt, müssen die Ergebnisse der ersten Stufe, insbesondere das Maß der Über- beziehungsweise Unterschreitung der Parameter, zusammen mit den auf der zweiten Stufe ausgewerteten Kriterien im Rahmen der Gesamtabwägung eingehend gewürdigt werden. Ergibt die Gesamtschau, dass die zur Prüfung gestellte Besoldung grundsätzlich als verfassungswidrige Unteralimentation einzustufen ist, bedarf es auf der dritten Stufe der Prüfung, ob dies ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann.
II. An diesen Maßstäben gemessen sind die Vorgaben des Art. 33 Abs. 5 GG nicht erfüllt.
Eine Gesamtschau der für die Bestimmung der Besoldungshöhe maßgeblichen Parameter ergibt, dass die im Land Berlin in den verfahrensgegenständlichen Jahren und Besoldungsgruppen gewährte Besoldung evident unzureichend war. Sie genügte nicht, um Richtern und Staatsanwälten nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung dieser Ämter für die All-gemeinheit einen der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards angemessenen Lebensunterhalt zu ermöglichen. Bei der Fest-legung der Grundgehaltssätze wurde die Sicherung der Attraktivität des Amtes eines Richters oder Staatsanwalts für entsprechend qualifizierte Kräfte, das Ansehen dieses Amtes in den Augen der Gesellschaft, die von Richtern und Staatsanwälten geforderte Ausbildung, ihre Verantwortung und ihre Beanspruchung nicht hinreichend berücksichtigt.
Für alle verfahrensgegenständlichen Jahre lässt sich feststellen, dass die Besoldungsentwicklung in den jeweils vorangegangenen 15 Jahren um mindestens 5 % hinter der Entwicklung der Tariflöhne im öffentlichen Dienst und der Verbraucherpreise zurückgeblieben war. In den Jahren 2010 bis 2014 lag die Differenz zur Tariflohnsteigerung bei über 10 %. Auch wurde das Mindestabstandsgebot in den unteren Besoldungsgruppen durchgehend deutlich verletzt. Hinsichtlich der Entwicklung des Nominallohnindex und im Quervergleich mit der Besoldung in Bund und Ländern wurden die maßgeblichen Schwellenwerte nicht überschritten. Weil damit drei von fünf Parametern der ersten Stufe erfüllt sind, besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation.
Diese wird erhärtet, wenn man im Rahmen der Gesamtabwägung die weiteren alimentationsrelevanten Kriterien einbezieht. Mit dem Amt eines Richters oder Staatsanwaltes sind vielfältige und anspruchsvolle Aufgaben verbunden, weshalb hohe Anforderungen an den akademischen Werdegang und die Qualifikation ihrer Inhaber gestellt werden. Gleichwohl hat das Land Berlin nicht nur die formalen Einstellungsanforderungen abgesenkt, sondern auch in erheblichem Umfang Bewerber eingestellt, die nicht in beiden Examina ein Prädikat („vollbefriedigend“ und besser) erreicht hatten. Dies zeigt, dass die Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion, durchgehend überdurchschnittliche Kräfte zum Eintritt in den höheren Justizdienst in Berlin zu bewegen, nicht mehr erfüllt hat. Gegenüberstellungen mit Vergleichsgruppen außerhalb des öffentlichen Dienstes führen im Rahmen der Gesamtabwägung zu keiner anderen Bewertung. Schließlich sind verschiedene Einschnitte im Bereich des Beihilfe- und Versorgungsrechts zu berücksichtigen, die das zum laufenden Lebensunterhalt verfügbare Einkommen zusätzlich gemindert haben.
Kollidierendes Verfassungsrecht, zu der auch die Verpflichtung zur Haushaltskonsolidierung (Art. 109 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 143d Abs. 1 GG) zählt, vermag diese Unterschreitung des durch Art. 33 Abs. 5 GG gebotenen Besoldungsniveaus nicht zu rechtfertigen. Insbesondere hat das Land Berlin nicht dargetan, dass die teilweise drastische Abkopplung der Besoldung der Richter und Staatsanwälte von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung in Berlin Teil eines schlüssigen und umfassenden Konzepts der Haushaltskonsolidierung gewesen wäre, bei dem die Einsparungen – wie verfassungsrechtlich geboten – gleichheitsgerecht erwirtschaftet werden sollten.
Hallo Andre,
verglichen mit der Verfahrensdauer der A-Besoldung in Sachsen (6 Monate nach dem Urteil R-Besoldung), gerechnet ab dem 4. Mai 2020,
rechne ich mit einem Urteil im November diesen Jahres. Gibt es Erkenntnisse deinerseits wann mit einem Urteil in der A-Besoldung für Berlin zu rechnen ist?
Hallo lieber Herr Grashof, lieber Herr Prinz,
offensichtlich hat das BverfG entschieden, dass der geforderte Mindestabstand zur Grundsicherung bis ins Jahr 2015 deutlich nicht erreicht wurde. Auch für 2020 scheint es so zu sein , dass der Beamte in der untersten Besoldungsgruppe(A4) im Eingangsamt ca. 30 % rund 9000 Euro zu wenig raus hat… Wie können wir nun MAXIMALEN Druck aufbauen damit endlich was passiert?? Sind Sie dran am Thema?
Hey Hotte,
per Mail hatte ich Dir bereits umfassend geantwortet. Hier nur zur Ergänzung für die anderen Leser/innen: Jetzt sind die Gewerkschaften, Berufsvertretungen und Oppositionspolitiker gefragt, den Druck weiter aufzubauen. Die gesamte Vorarbeit ist geleistet!!!
Beste Grüße, André
Wie verhält es sich dann eigentlich ab dem Jahr 2016-2020?I
ch vermute, dass ab 2021 wir als Beamte verfassungsgemäß besoldet werden.
Die Pensionen müsste ja dementsprechend auch angehoben werden. So wäre mein Verständnis.
Nochmal ein dickes Danke an das Aktionsbündnis.
Hallo Mirko,
das wäre nicht nur fatal, es wäre ein erneuter, doppelter Verfassungsbruch. Es wäre klar der Gleichheitsgrundsatz verletzt. In Punkt Sonderzahlung und Ungleichbehandlung steht ja auch was im Urteil. (für Berlin Sonderzahlung ab und bis A 10)
Es wäre auch unklug in dem Jahr, in dem man auch wiedergewählt werden möchte.
Hallo Mirko,
was kann und darf eigentlich unser HPR in Bezug auf eine schnelle die Umsetzung des Urteils und Neufassung des Besoldungsgestzes 2021 tun?
Muss ein Nachzahlungsgesetz her, das die Urteile vom 28. und 29.07 (beide Besoldungsrelevant) berücksichtigt?
Darf der HPR so etwas vom Senat fordern?
Hallo Mario, die Durchsetzungskraft des HPR in Sachen Gesetzesentwürfe dürfte sich in Grenzen halten. Es findet ein Stellungnahmeverfahren statt, in dem Kritik am Gesetzenwurf geäußert werden kann. Berücksichtigung muss diese nicht finden. Es ist ähnlich wie die Beteiligung der Spitzenorganisationen nach § 83 LBG Berlin. Letztendlich hat der Gesetzgeber das letzte Wort bei der Besoldung. Dieser hat sich jedoch an die Vorgaben des BVerfG zu halten https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Wichtige-Verfahrensarten/Wirkung-der-Entscheidung/wirkung-der-entscheidung_node.html Gruß Mirko
Weiß man schon, wann die A und B Besoldung verhandelt wird?
Die wissen mehr: „Die Entscheidung die Verfassungswidrigkeit der Besoldungsgruppen A und B soll in den nächsten Monaten folgen.“ https://www.gdp.de/gdp/gdpber.nsf/id/DE_Entscheidung-des-BVerfG-Richterbesoldung-in-Berlin-verfassungswidrig?open&ccm=000
Was glaubt ihr ?Wird es Nachzahlungen geben oder wird der Senat alles ignorieren ?
Auf 7 Jahre ist das nen ganzer Batzen an Kohle 🤷♂️
In einem Rechtsstaat sollte das Verfassungsgericht nicht ignoriert werden! Die Frage wäre: Wie lange lässt man sich Zeit? Bei den Richtern definitiv bis Juli 2021 bei der A-Besoldung sollte es genauso sein, da ja auch darauf beim BVerfG eingegangen wurde. Lediglich die Anlage für die R-Besoldung zu ändern wäre fatal.
Ganz genau!!
„Die Senatsverwaltung für Justiz teilte am Dienstag nach der Urteilsverkündung mit, dass die Besoldung in den Einstiegs- und Beförderungsämtern für Richterinnen und Richter sowie für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Berlin seit 2016 um insgesamt 17 Prozent gestiegen sei. „Zudem lag ab 2018 die Besoldungsanpassung jeweils 1,1 Prozent über der durchschnittlichen Besoldungsanpassung der Bundesländer. Darüber hinaus wurden 2017 und 2018 die Sonderzahlungen erhöht. Bis 2021 wird die Besoldung das Niveau des Durchschnitts der Bundesländer erreichen.“
Hallo Martin,
Bla, bla, bla. Dies Sätze hören wir schon seit Monaten. Vielleicht sollten sie mal doch dem Andre glauben statt von oben auf ihn herabzusehen.
Wenn sie Eier in der Hose haben, sollten sie das Besoldungsgesetz 2021 unter Berücksichtigung des Urteils neu formulieren. Alles andere wäre in ignorieren höchstrichterlicher Rechtsprechung.