Lange haben wir darauf gewartet und endlich liegen sie vor. Die Vorlagebeschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts zur verfassungswidrigen A und R-Besoldung. Im Folgenden werde ich ausschließlich auf den Beschluss zur A-Besoldung eingehen.
Vorab kann festgestellt werden, dass wir kaum zu träumen gewagt hätten, einen dermaßen eindeutigen Beschluss zu erhalten. Mit sehr klaren Worten beschreibt das Bundesverwaltungsgericht seine volle Überzeugung, dass das Land Berlin seit dem Jahr 2008 durchgängig verfassungswidrig zu niedrig alimentiert. Überaus erfreulich für uns ist, dass die Bundesverwaltungsrichter eine Vielzahl unserer Argumente aus den Klagebegründungen aufgegriffen haben!
Die ungewöhnlich deutlichen Worte der Richter des BVerwG sind eine schallende Ohrfeige sowohl für die seit einem Jahrzehnt rechtwidrig agierenden Politiker, wie auch für das OVG Berlin-Brandenburg mit seinem überaus senatsfreundlichen Versuch einer eigenen Vorlage.
Vermutlich werden jedoch die eindringlichen Worte und für jeden nachvollziehbaren Herleitungen der Entscheidungen des BVerwG den Berliner Senat und den Berliner Finanzsenator nicht von ihrem bislang absolut ignoranten Kurs abbringen. Denn erst das Bundesverfassungsgericht kann das Land Berlin zu einem Handeln zwingen. Wann ein Termin beim BVerfG angesetzt wird, um die Klagen dort zu verhandeln, kann nur gemutmaßt werden.
Konzentrieren wir uns vorerst auf das bislang Erreichte: Im Folgenden werde ich die – aus meiner Sicht – wichtigen Passagen des Vorlagebeschlusses herausziehen und beschreiben. Die etwa 70 Seiten Beschluss habe ich auf 4 Seiten zusammen geschmolzen. Details und Herleitungen befinden sich im Beschluss und können von jedermann eingesehen werden. Der link zum allgemein veröffentlichten Beschluss der Richterbesoldung befindet sich am Ende des Schreibens. Dieser Beschluss ist in den Kernaussagen identisch mit dem zur A-Besoldung.
Doch nun zu den für alle Berliner Beamten wichtigen Aussagen:
Die Richter des Bundesverwaltungsgerichts sind überzeugt, dass sich die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation auch ergeben kann, wenn nur zwei der fünf vom Bundesverfassungsgericht für die Prüfung auf der ersten Stufe benannten Parameter erfüllt sind, dies aber in besonders deutlicher Weise. Denn diesen Parametern der ersten Prüfungsstufe kommt nur eine Orientierungsfunktion zu, worauf das BVerfG selbst hinwies. Die auf der zweiten Prüfungsstufe gebotene Gesamtabwägung (auch vom BVerfG vorausgesetzt) aller alimentationsrelevanten Kriterien erhärtet diese Annahme und zeigt auf, dass die Alimentation im streitgegenständlichen Zeitraum (2008 – 2015) nicht mehr amtsangemessen war. Ein Ausnahmefall, der den Verstoß gegen das Alimentationsprinzip rechtfertigen könnte, liegt nicht vor. Das Besoldungsgefüge im Land Berlin wahrt überdies nicht die Mindestdistanz zum sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau.
Erstmalig berücksichtigten die Richter, dass im Land Berlin regelmäßig erst zum August eines Jahres Besoldungsanpassungen erfolgten. Sie erkannten, dass diesem Umstand Rechnung getragen werden muss und passten die Berechnungen entsprechend an.
Die Deutlichkeit der Abweichung der Besoldungsentwicklung im Land Berlin vom Tarifindex zeigt sich besonders, wenn eine konkrete Vergleichsbetrachtung der jeweiligen Besoldungsgruppen vorgenommen wird. Mit einem – vom Land Berlin selbst errechneten – Zurückbleiben von über 18 % für die Beamten der Besoldungsgruppe A 10 wird die hier eingetretene Abkopplung von der Entwicklung des Tariflohns für Beschäftigte der vergleichbaren Entgeltgruppe E 10 offenkundig. Entsprechendes gilt in abgeschwächter Form für die Beamten der Besoldungsgruppen A 11 und A 12.
Ein ähnlicher Befund gilt für die Abweichung der Besoldungsentwicklung von der Entwicklung des Verbraucherpreisindex. Auch hier liegen über mehrere Jahre hinweg zum Teil sehr deutliche Überschreitungen der Schwellenwerte vor.
Die von uns Klägern vorgetragenen Umstände der Auswirkungen auf den Nominallohnindex in Berlin im Hinblick auf den Aussagegehalt wurden ebenfalls durch die Richter berücksichtigt. Aus diesem Grund wurde dem Nominallohnindex keine ausschließende Indizfunktion beigemessen.
Ebenfalls Berücksichtigung fand unsere Argumentation bezüglich des Quervergleichs der Besoldung im Land Berlin mit der Besoldung des Bundes: „Deshalb spricht gerade im Land Berlin für einen Quervergleich zwischen der Landes- und der Bundesbesoldung, dass hier Landes- und Bundesbeamte in großer Anzahl in demselben Territorium leben und arbeiten. Beamte und Richter des Landes Berlin sowie des Bundes sind damit in derselben Stadt denselben gesellschaftlichen Bedingungen und Entwicklungen ausgesetzt und stehen dabei faktisch in unmittelbarer Konkurrenz – etwa um Miet- oder Eigentumswohnungen – zueinander.“ Auch der Abwerbungsdruck wurde anerkannt, dem das Land Berlin ausgesetzt ist, da z.B. bei der Besoldungsgruppe A 9 Stufe 1 die Besoldungsdifferenz zum Bund gegenwärtig bei über 15 % liegt.
Es wird durch die Richter des BVerwG weiterhin festgestellt: „Die Gesamtabwägung aller alimentationsrelevanten Kriterien auf der zweiten Prüfungsstufe ergibt ein einheitliches Bild. Die im Land Berlin gewährte Alimentation ist weder in der Lage, ihre qualitäts- und verantwortungssichernde Funktion sicherzustellen, noch hält das Besoldungsniveau einem Vergleich mit dem in der Privatwirtschaft für Beschäftigte mit vergleichbarer Qualifikation und Verantwortung gezahlten Löhnen stand. Dieser Befund wird durch parallele Entwicklungen im Bereich anderer Alimentationsleistungen nicht entkräftet, sondern verstärkt. Unabhängig von der Einordnung der Daten zum Nominallohnindex in Berlin ist daher als Gesamtbefund eine evidente Unteralimentierung zu konstatieren.“
Bei einem Einkommensvergleich mit entsprechenden Berufen in der Privatwirtschaft wurden die Daten des Statistischen Bundesamtes herangezogen. Hierbei wurde festgestellt, dass im Jahre 2006 bereits 96 % aller vergleichbaren Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft mehr verdient haben, als ein Berufsanfänger der Besoldungsgruppe A 10 in Berlin. Dieser Wert stieg bis zum Jahr 2014 auf 98 %. Gemessen an der Endstufe von A 10 sieht die Entwicklung nur wenig besser aus, die Entwicklungstendenz ist identisch.
„Diese Diskrepanz ist an Deutlichkeit kaum zu überbieten. Sie liegt sogar über den bereits vom Bundesverfassungsgericht als „deutliche Diskrepanz“ und verfassungswidrig eingestuften Vergleichszahlen des Bundeslandes Sachsen. Die Zahlen belegen überdies die Entwicklungstendenz: Im Verlauf der Jahre 2006 bis 2014 hat sich das relative Besoldungsniveau der Beamten in der Endstufe um 14 Prozentpunkte (weiter) verschlechtert.“
Ein noch schlechteres Bild ergibt sich bei relativer Vergleichsbetrachtung bei den Besoldungsgruppen A 11 und A 12. (Anmerkung des Unterzeichnenden: Kann man als Bundesverwaltungsrichter noch deutlichere Worte finden? Wohl kaum!)
Zusätzlich haben sich auch die weiteren, neben die Besoldung tretenden Alimentationsleistungen im Betrachtungszeitraum vermindert und zu einer Schmälerung des Betrages beigetragen, der dem Richter oder Beamten für seinen Lebensunterhalt tatsächlich zur Verfügung steht.
Für all diese Probleme gibt es keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Auch ist ein rechtfertigendes Gesamtsparkonzept im Land Berlin nicht erkennbar. Bei der Betrachtung der Besoldungsgesetze und der Drucksachen des Berliner Abgeordnetenhauses „…wird indes deutlich, dass die Einsparungen weiterhin nur Beamte und Richter treffen und nicht Teil eines umfassenden – etwa auch Tarifbeschäftigte umfassenden – Sparkonzepts sind.“
„Aus den dargestellten defizitären Gesetzesbegründungen folgt zugleich, dass auch die prozeduralen Anforderungen an den Gesetzgeber hinsichtlich der Festsetzung der Besoldungshöhe nicht eingehalten sind.“ (Anmerkung des Unterzeichnenden: An Klarheit nicht zu überbieten!)
Der letzte noch nicht zur Sprache gekommene Parameter betrifft den Mindestabstand der Besoldung zum sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau. Vom BVerfG vorgegeben ist ein Abschmelzungsverbot bestehender Abstände der besoldungsrechtlichen Einstufungen. Eine Fehlerhaftigkeit des Besoldungsniveaus in unteren Besoldungsgruppen hat dementsprechend Auswirkungen auch bei den höheren Besoldungsgruppen. Auswirkungen bestehen gem. des Beschlusses für die Richterbesoldung bis in die Richtergehälter hinein. Zur Frage der Berechnung des Mindestabstandes wird auf verschiedene Grundlagen zurückgegriffen. Die Richter des BVerwG sind dabei bestrebt, ein realitätsgerechtes Abbild zu erstellen, um einen sicheren Mindestansatz zu wahren. Bei der zu vergleichenden Beamtenbesoldung ist der Mindeststandard anzusetzen in Gestalt der niedrigsten vom Dienstherrn ausgewiesenen Besoldungsgruppe und Erfahrungsstufe. Zur Berechnung der tatsächlich erhaltenen Besoldung wurde beachtet, dass das Land Berlin jeweils erst zum 1. August eines Jahres die Besoldung angepasst hat.
Einer der wenigen von mir zu äußernden Kritikpunkte an dieser Berechnung ist die pauschalierte Berücksichtigung von nur 340,00 € (entnommen aus der Entwurfsbegründung zum BBVAnpG 2016/2017) für die private monatliche Kranken- und Pflegeversicherung für die vierköpfige Beamtenfamilie – unverändert für sämtliche Streitjahre. Unsere vorgelegten Daten der DKV die punktgenau für die einzelnen Jahre berechnet und belegt waren, sind nicht berücksichtigt worden (hier hätten sich bis zu ca. 2.400,00 € höhere Belastungen der Beamtenfamilie im Jahr ergeben). Weitere für die Beamtenfamilie nicht berücksichtigte Verminderungspositionen sind z.B. GEZ-Gebühren und BVG-Kosten im Verhältnis zum Sozialticket beim Hartz-IV-Empfänger. Bei einer Einbeziehung dieser Faktoren wäre das Ergebnis noch drastischer zum Nachteil der Beamtenfamilie ausgefallen. Der Bedarf von Bildung und Teilhabe, den wir (maßvoll errechnet) mit 640 € im Jahr angesetzt hatten, wurde nur mit 433,33 € und weniger akzeptiert. Die Verwendung des Lohn- und Einkommenssteuerrechners auf der Homepage des Bundesministeriums der Finanzen führte ebenfalls (nach meiner Kenntnis) zu einer Benachteiligung der Beamtenbesoldungsberechnung, da er zu geringeren Abzügen bei der Beamtenfamilie führt, als eine reale steuerliche Berechnung.
Trotz dieser für die Beamtenschaft punktuell nachteiligen Berechnungen ergibt sich im Durchschnitt der betrachteten Jahre 2008 bis 2015, dass die beamtenrechtliche Mindestalimentation nur 3,13 % über dem sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau lag. Vom BVerfG sind jedoch mindestens 15 % Abstand gefordert. Das bedeutet, dass durchschnittlich jährlich etwa 12 % als absoluter Mindestbetrag fehlt, um die Mindestvoraussetzungen einer verfassungsrechtlich einwandfreien Alimentation zu gewährleisten.
Das Bundesverwaltungsgericht stellte in seinem Beschluss abschließend fest: „Im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum von 2008 bis 2015 lag die beamtenrechtliche Mindestalimentation im beklagten Land nur geringfügig über dem sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau und damit deutlich unter der maßgeblichen Schwelle von 15 %. Auch die absolute Untergrenze der Beamtenbesoldung war damit unterschritten.“
Aus meiner laienhaften Sicht würde das bedeuten, dass das Land Berlin für die Jahre 2008 bis 2015 (und auch ab 2016 bis zum Zeitpunkt der Einführung einer endlich verfassungsgemäßen Alimentation) für einen jeden Beamten jährlich etwa 12 % nachzahlen müsste, um in den Bereich einer verfassungsgemäßen Alimentation zu kommen. Natürlich müssen nachträglich auch die Pensionen neu berechnet werden.
Eigentlich sollte die vom Bundesverwaltungsgericht festgestellte Offensichtlichkeit der verfassungswidrigen Unteralimentation im Land Berlin verantwortungsbewusste Politiker sofort zum Handeln veranlassen.
Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
André Grashof – Berlin, den 04.03.2018
Wie geht es denn jetzt genau weiter?
Lieber Kollege Grashof, danke für die verständliche Zusammenfassung. Ich hoffe auf eine schnelle Beurteilung durch das Bundesverfassungsgericht. Der Senat von Berlin wird sich ohne Druck nicht bewegen. Peter Bünger PHK i. R.
Wir sehen deutlich, dass der Berliner Senat NICHT gewillt ist, von allein auf die überaus deutlichen Worte der Bundesverwaltungsrichter zu reagieren. Da haben Sie Recht Kollege Bünger. Um auch auf die Frage des Kollegen Fensch einzugehen hier mal folgendes: Unser Rechtsanwalt muss noch diverse Punkte abarbeiten, die wir gerne zusätzlich noch dem Bundesverfassungsgericht vortragen würden. Für die Kollegin A 4 und den Kollegen A 15 sind die Argumente noch nicht vollständig vorgetragen worden. Aus unserer Sicht sind diese beiden Besoldungsgruppen und die dazu aufzuliefernden Argumente wichtig, beim BVerfG vorgebracht zu werden, um das volle Ausmaß der verfassungswidrigen Unteralimentation darzustellen. Neben den Vorlagebeschlüssen des OVG Berlin-Brandenburg und des BVerwG müssen noch weitere aktuelle Urteile aus anderen Bundesländern durch unseren Rechtsanwalt ausgewertet werden. Das erfordert umfangreiche Arbeiten und damit Zeit und Geld. Weiterhin können wir nur auf einen Termin beim BVerfG warten. Wann dieser Termin angesetzt wird, steht in den Sternen. Mit etwas Glück werden wir im Jahr 2019 einen Termin zugewiesen bekommen. Nach einem hoffentlich positiven Urteil für die Berliner Beamtenschaft erhält der Berliner Senat dann einen gewissen Zeitraum zur Umsetzung des Urteils des BVerfG. Im Land Sachsen war dies ein Zeitraum von sechs Monaten. Dann muss also ein verfassungsgemäßes Besoldungsgesetz stehen und auch die Rückwirkungspflichten geklärt sein. Es liegt demzufolge nicht an uns oder unserem Rechtsanwalt, dass es nicht schneller geht, sondern einfach an den Mühlen der Justiz. Nach den absolut hervorragenden Beschlüssen des BVerwG sind wir jedoch recht zuversichtlich, dass wir auch beim BVerfG endlich RECHT zugesprochen bekommen. Beste Grüße und alles Gute, André Grashof
Vielen Dank André,
dass du mal wieder alles schön „mundgerecht“ für uns herausgearbeitet hast.
Lieben Gruß
Hartmut